
Stand: 24.12.2022 um 17:07 Uhr
Seit Wochen wird über die Räumung der vom Tagebau Garzweiler II besetzten Stadt Lutzerath in Nordrhein-Westfalen spekuliert. Im Januar soll es nun soweit sein. Umweltschützer und Polizei stehen in Bereitschaft.
Wenn sich große Politiker in Düsseldorf und Berlin um eine Kleinstadt mit wenigen Häusern und viel Ackerland kümmern, muss es um etwas Wichtiges gehen. Im Fall von Lützerath ist dies zweifellos der Fall. Das kleine Dorf im Westen zwischen Aachen, Mönchengladbach, Köln und Düsseldorf ist seit Monaten mit Beamten, Ministern und der Öffentlichkeit beschäftigt.
Denn: Unterhalb von Lützerath liegt eine große Menge Braunkohle, die der Energiekonzern RWE abbauen und zur Stromerzeugung verbrennen darf. Das Dorf muss dem Tagebau Garzweiler II weichen. Wir haben es nicht – sagen Klimaaktivisten und besetzen die Slums. Trotz Energiekrise behaupten sie, die Kohle unter Lutzerath sei nicht nötig und könne dort angesiedelt werden.
Aber jetzt ist es viel mehr als eine Stadt. “Lützerath ist zu einem Pilgerort für Aktivisten geworden, einer ihrer wichtigsten Orte im Kampf um das 1,5-Grad-Ziel”, schrieb der Spiegel kürzlich.
Klimaschützer demonstrieren in Lutzrath, um den Kohleabbau zu stoppen
David Zajonz, WDR, Tagesschau 17:00, 12.11.2022
Räumungen sind ab dem 10. Januar möglich
Im Januar wird sich der “Schrein” voraussichtlich in einen Einsatzort für die Polizei verwandeln. Denn nach dem Jahreswechsel steht Lutzraths Rücktritt an. Die Vorbereitungen dazu laufen seit Wochen.
Erst am Dienstag dieser Woche hatte der Kreis Heinsberg, in dem Lutzerath liegt, das Wohnen im Ghetto verboten und damit formell den Weg für Räumungen frei gemacht. „Wenn der Räumung nicht Folge geleistet wird, sind Räumungsgründe ab dem 10. Januar vorgesehen“, teilte die Kreisverwaltung mit.
Der Bürgermeister der Stadt Erkelenz, zu der auch die Gemeinde Lutzerath gehört, hatte einen solchen Schritt zuvor abgelehnt und damit für Empörung gesorgt. Denn es wurde deutlich, dass nicht alle Verantwortlichen auf dem Gelände Zwangsräumungen durch das Land Nordrhein-Westfalen unterstützten.
Die Stadt hat sich in der Vergangenheit für den Erhalt von Dörfern eingesetzt, die dem Braunkohletagebau weichen mussten. Nun wirft der CDU-Politiker Stefan Muckel auch seinen eigenen Parteifreunden in der dunkelgrünen Landesregierung vor, sich gegen lokale Entscheidungsträger zu wehren, um sie zu verdrängen. Die Stadt könne mit ihren „fünf Verkehrsüberwachungskräften des Ordnungsamtes“ keine Evakuierung anordnen.
Es kann jedoch ab der zweiten Januarwoche beginnen. Die große Frage ist, was als nächstes passiert. Bleibt es beim Sit-in? Ketten sich Aktivisten selbst? Droht Gewalt? Da kommen schnell Erinnerungen an den Herbst 2018 hoch. Damals räumte die Polizei die Baumhäuser im Hambacher Forst – einem Waldgebiet angrenzend an den Tagebau Hambach, nur 20 Kilometer von Lutzerath entfernt.
Klimaaktivisten und Besatzer leisteten erbitterten und teilweise gewalttätigen Widerstand. Es war wohl einer der größten Polizeieinsätze in der Geschichte Nordrhein-Westfalens, der im Konflikt zwischen Klimaschützern und dem Land gipfelte. Am Ende einigte man sich darauf, den Wald zu schützen.
Hausbesetzer stehen in Lutzerath bereit
Dieser Erfolg ließ die heutigen Hausbesetzer später davon träumen, in Lutzerath etwas Vergleichbares zu erreichen. Die Ureinwohner haben das Dorf längst verlassen, heute leben etwa 100 Menschen in Zelten, Wohnwagen, Holzhütten oder Baumhäusern. Es gibt Workshops mit dem Titel “Barrikadenbau & To-Do’s”.
„Wir haben uns zwei Jahre lang auf die Räumung vorbereitet“, sagte Mara Sauer vor wenigen Tagen der Nachrichtenagentur EPD. Der 25-Jährige lebt seit mehr als einem Jahr im Lager. Politisiert wurde der gebürtige Brandenburger durch Berichte über den Hambacher Forst. “Das war ein Aha-Moment für mich.”
Großer Polizeieinsatz
Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul hat bereits an die Hausbesetzer appelliert, die Situation nicht eskalieren zu lassen. Der friedliche Protest sei gerechtfertigt, sagte der CDU-Politiker. Aber die Schaffung einer „gewalttätigen Anti-Regierungs-Stimmung unter dem Deckmantel des Klimaprotestes“ wird nicht toleriert. In diesem Fall werden die Behörden “entschieden handeln”.
Ungewohnt offen skizzierte Reul, wie es weitergehen soll: als Großaktion statt Stückwerk. „Endlich muss Lutzerath geräumt werden und das geht nur durch eine umfassende Aktion, bei der erstens die Barrikaden entfernt werden, zweitens die Menschen umgesiedelt werden, drittens alle Häuser abgerissen und die Bäume gerodet werden – also die Besatzungsinfrastruktur entfernt wird. ” Andernfalls “erobern wir sofort zurück und fangen wieder von vorne an.” Das alles klingt nach einem wochenlangen Einsatz für Hunderte oder Tausende von Polizisten.
Ärger für die Grünen
Wenn im Januar tatsächlich die ersten Beamten eintreffen, wird es vor allem für die Grünen schwer. 2018 kämpften sie gemeinsam mit Klimaaktivisten gegen die Rodung des Hambacher Forstes. Auch der Landesverband hielt anlässlich des Abrisses des Tagebaus einen Parteitag ab. Mehr Einheit war nicht möglich.
Vier Jahre später sieht die Situation ganz anders aus. Die Grünen sitzen in Düsseldorf und Berlin auf der Regierungsbank. Robert Habeck und Mona Neubauer, zwei bekannte Gesichter auf Bundesebene und als Energieminister in Nordrhein-Westfalen, haben im Oktober den Weg für den Braunkohletagebau in Lutzerath geebnet.
Auf dem Parteitag stimmten die Grünen mit knapper Mehrheit für die Deponierung von Lutzerathdorf.
Tina Handel, ARD Berlin, Tagesschau 17:45, 16.10.2022
Im Gegenzug wurde der Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vorgezogen und die Hälfte der bereits genehmigten Abbaumenge an Braunkohle verblieb im Boden. Fünf weitere Dörfer konnten gerettet werden. Allerdings wird den Grünen von Klimaaktivisten Landesverrat vorgeworfen, weil sie als Symbol des Widerstands gegen die Anti-Kohle-Bewegung gegen Lutzerath vorgegangen sind – und Klimaziele bedroht haben.
Wie sehr die kommenden Ereignisse den Grünen schaden werden, hängt davon ab, wie erbittert der Widerstand der Hausbesetzer in Lutzerath ist und ob sich die Szenen im Hambacher Forst vor laufenden Kameras wiederholen. Die Mobilisierung vor Ort ist definitiv in vollem Gange. Für den 14. Januar wurde in der Stadt zu einer Großdemonstration aufgerufen. Nach Angaben der Umweltorganisation BUND werden Ankünfte aus ganz Deutschland erwartet.
Heißer Januar für Lützerath? Dann kommen die Bagger.
6.12.2022 20:10 Uhr