
Machen Sie sich auf den Weg zu einem Fusionskraftwerk
Forscher gewinnen erstmals Energie aus der Kernfusion
Seit Jahrzehnten arbeiten Forscher daran, Energie ohne Kohlendioxid und Atommüll zu erzeugen. Sie haben jetzt einen wichtigen Schritt getan, aber es ist noch ein weiter Weg.
Ein Forschungsdurchbruch in den Vereinigten Staaten hat kürzlich daran erinnert, dass die Kernfusion eine Option zur Lösung des Energieproblems sein könnte. Fusionsreaktoren werden weltweit entwickelt. Ein besonderes Erlebnis ist in Greifswald unterwegs.
JEin jüngster Durchbruch amerikanischer Forscher hat Hoffnungen auf die Kernfusion als Lösung aller Energieprobleme geweckt. Doch der Weg zum Kraftwerk ist lang und führt an die Grenzen bestehender Technik.
Im Kontrollraum des Fusionsexperiments Wendelstein 7-X ist die Spannung deutlich zu spüren. Rund 60 Wissenschaftler aus mehreren Ländern starren gebannt auf unzählige Bildschirme mit Computercodes und Diagrammen. Ein Gemurmel aus Deutsch und Englisch erfüllt den großen Raum. Die derzeit laufenden Versuchsschritte seien “unglaublich langwierig”, sagt Professor Thomas Klinger, Leiter der Großforschungsanlage in Greifswald. Danach „gehen alle mit Stöcken“.
Er verantwortet ein Projekt, dessen Bau und Betrieb bereits mehr als eine Milliarde Euro gekostet hat und das dem Versprechen einer nahezu unbegrenzten Energie dank Kernfusion einen Schritt näher rücken soll. Nach einer umfangreichen Renovierung der Anlage laufen ab September 2022 erneute Experimente. Alle Beteiligten stehen unter Druck, sicherzustellen, dass die Tests erfolgreich verlaufen.
“wissenschaftlicher Fortschritt”
Anders als in Reaktoren in Kernkraftwerken werden bei der Kernfusion Kernkerne verschmolzen und nicht gespalten. Dazu wird bei extrem hohen Temperaturen sogenanntes Plasma erzeugt – eine Art vierter Aggregatzustand, in dem Atome in ihre Bestandteile zerfallen. Theoretisch könnte es viel größere Energiemengen produzieren – und viel ungefährlicher als Kernspaltung und Klimaneutralität.
Mitte Dezember sorgten Forschungsergebnisse aus den USA für Aufsehen. Nach Angaben der dortigen Regierung haben Wissenschaftler durch die Verschmelzung von Atomkernen erstmals mehr Energie erzeugt, als sie direkt hineingesteckt haben. „Einfach ausgedrückt ist dies einer der beeindruckendsten wissenschaftlichen Durchbrüche des 21. Jahrhunderts“, sagte US-Energieministerin Jennifer Granholm in der Ankündigung. Seitdem sucht die Politik hierzulande nach Themen für sich und fordert mehr Geld.
Professor Thomas Klinger, Direktor am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik
Quelle: Photo Alliance / DPA / Stephen Sauer
Bis zu einem möglichen Fusionskraftwerk ist es aber noch ein weiter Weg. Die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts sei möglich, sagt Klinger, “wenn wir jetzt nicht noch mehr Zeit verlieren”. Der Erfolg der amerikanischen Kollegen hat an dieser Einschätzung nichts geändert. Klinger spricht dennoch von einem wissenschaftlichen Durchbruch.
In Amerika wurden Atomkerne mit Lasern verschmolzen. In Greifswald kommt mit Magneten ein ganz anderes Verfahren zum Einsatz. Klinger kann sich vorstellen, dass es irgendwann Kraftwerke mit Laser- und Magnettechnik geben wird. Allerdings ist nach aktuellem Stand mit einer schnelleren Anwendung der Magnetfusion zu rechnen.
Kritiker bemängeln, dass die Kernfusion zu teuer ist, Prognosen über mögliche Nutzungen immer wieder nach hinten verschoben werden und die Technologie zur Energieübertragung zu spät kommt. Andererseits verweisen Befürworter wie Klinger auf den zu erwartenden Anstieg des Energieverbrauchs in der Zukunft, zu dessen Deckung auch die Kernfusion beitragen könnte.
Erste Arbeiten für ein Fusionskraftwerk
Eine echte Kernfusion findet in Greifswald nicht statt. Vielmehr werden hier die Entstehung und Eigenschaften von Plasma untersucht. Wissenschaftler wollen in den kommenden Jahren Vorarbeiten für ein Fusionskraftwerk leisten, das im Dauerbetrieb Energie liefern kann. Statt wie bisher nur Sekunden soll für 30 Sekunden ein ausreichend heißes und dichtes Plasma entstehen. Von dort, so Klinger, sei es nicht mehr weit bis zum echten Dauerbetrieb.
Für die bis Ende März geplante Versuchsphase hätten Wissenschaftler aus aller Welt rund 400 Vorschläge eingereicht, erklärt Klinger. Etwa 150 davon seien priorisiert und im Rahmen eines Programms gebündelt worden, „damit die Maschinen nicht ständig verstellt werden müssen“.
An zwei bis drei Tagen in der Woche bearbeiten die Wissenschaftler das Versuchsprojekt von morgens bis abends. Dabei entstehen Massen an Rohdaten, die dann über Monate analysiert und in späteren Experimenten verwendet werden. „Das ist nur zu erklären, wenn alle liefern. Ähnlich hoch ist die Spannung in der Leitwarte“, sagt Klinger.
„Der Fusionsprozess an sich ist bestens erforscht“, sagt der Physiker. Aber: „Der Witz ist nicht, etwas Fusion, sondern viel Fusion zu machen.“ Hier bestünden gewaltige technische Hürden. Und es sei schwer vorherzusagen, wie schnell man diese bewältige.
Die Greifswalder Anlage befinde sich nach vier Jahren des Umbaus auf ihrer endgültigen Ausbaustufe. „Wir haben eine Wasserkühlung eingebaut. Das hört sich superlangweilig an.“ Doch die Kühlung, die den Langzeitbetrieb ermöglichen soll, habe es in sich.
Klinger spricht von einer der vermutlich komplexesten derartigen Kühlungen, die je gebaut wurden. 657 voneinander unabhängige Kühlkreisläufe führen die Wärme ab. Insgesamt 6,8 Kilometer individuelle Kühlrohre mussten gefertigt, isoliert, eingepasst und verschweißt werden. Dabei geht es um höchste Präzision. Nichts kommt von der Stange.
„Dieser Mühsal wollte sich bisher fast noch keiner unterziehen. Und wir haben es jetzt einfach mal gemacht“, sagt Klinger. Denn genau darum gehe es auf dem schwierigen Weg zum Kernfusionskraftwerk: um Fortschritte in der Physik, aber auch der Technik. „Und die kann man nur vorantreiben, indem man es einfach macht. Indem man das macht, was technologisch gerade eben geht. Und das ist genau das, was wir getan haben.“